Fazit nach einem Jahr Vanlife
Fazit nach einem Jahr Vanlife

Fazit nach einem Jahr Vanlife

Vor einem Jahr, am 24.01.2023, sind wir in unseren Brummel eingezogen.
Wie so vieles im Leben hat auch Vanlife seine Sonnen- und Schattenseiten.
Ich bin froh und dankbar für beide Erfahrungen, sowohl die positiven, die mich bestärkt haben in dem was wir tun, wie auch die nicht so schönen, die mich immer wieder aus meiner Komfortzone haben treten lassen.
Der Schatz an Learnings aus nur einem Jahr unterwegs sein ist überwältigend und lässt sich nicht auf ein paar Worte und Bilder beschränken.
Zu wissen, wie sich ein Leben auf 4 Rädern anfühlt, kann allerdings nur die eigene Erfahrung und das Wagnis ins Ungewisse geben. Hier ein Einblick aus unserem „Rückblick 1 Jahr Vanlife“.

Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit

Das Leben im Bus erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Ständig wechselnde Umgebungen, sich ändernde Landschaftsbilder und Klimazonen. Andere Mentalitäten, Wetterbedingungen und kulturelle Unterschiede. Diese sich fortwährend ändernden Gegebenheiten tauschen wir gegen die unendliche Anzahl an Stellplatzmöglichkeiten ein, die wir kurzfristig unser zu Hause nennen dürfen. Das größte Gefühl von Freiheit hatten wir auf der wunderschönen Insel Fuerteventura. Die Wüstenlandschaft ist gekennzeichnet von unendlicher Weite, beruhigender Eintönigkeit und ganzjährig milden Temperaturen, die es einem ermöglichen, die 8 Quadratmeter im Bus auf einen Vorgarten, ein Wohnzimmer, einen Sport- und Hobbyraum, einer Kochstelle sowie einer Außendusche zu erweitern. Was für ein atemberaubendes Gefühl von Raum, Unabhängigkeit und Leichtigkeit. Wir haben die Sonne und Wärme auf der für mich schönsten Insel in allen Facetten genießen dürfen .

Auf das Wesentlichste reduziert sein

Ich habe immer gerne Haushalt in unserer Wohnung in Deutschland gemacht aber rückblickend gesehen, ist das doch auch ganz schön viel Zeit, die dabei draufgeht so viel Fläche sauber zu halten und instand zu setzen. Wie viel mehr an Zeit man plötzlich hat, wenn man nur noch 7% des vorherig vorhandenen Raums zu pflegen hat, ist uns ziemlich schnell aufgefallen. Zeit für Hobbys, soziale Kontakte und Erkundungstouren neuer Gegenden. Auch das Gefühl auf das Wesentlichste reduziert zu sein und wirklich nur die Dinge mit uns herumzufahren, die wir WIRKLICH brauchen. Wir haben Menschen getroffen, die in noch viel kleineren Campern zu zweit oder dritt unterwegs waren und dementsprechend noch spartanischer gelebt haben. Auch sie haben von einer „losgewordenen Last“ berichtet. Weniger Verantwortung, weniger Problempotenzial für Dinge, die auch ihre Aufmerksamkeit einfordern. Und natürlich zu erkennen, was einem WIRKLICH wichtig ist. Wir haben beide nach 7 Monaten auf Reisen nichts vermisst und haben uns in Deutschland sogar noch weiterem Ballast entledigt.
Ein weiterer Aspekt, der auch in die Kategorie „Minimalismus“ gehört, sind natürlich die viel geringeren Lebensunterhaltskosten. Vorausgesetzt man ist nicht permanent unterwegs und bereist nicht die Länder mit den höchsten Lebensmittel- und Spritkosten, haben wir, vor allem auf den Kanaren, sehr sparsam gelebt: (Trink-) Wasser war oft kostenlos, Stellplätze sowieso und bei leichter Bekleidung fällt auch nicht viel Wäsche an, die gewaschen werden muss. Einzig und allein die vielen Reparaturmaßnahmen haben uns auf Erspartes zurückgreifen lassen müssen.

Direkte Verbundenheit mit der Natur

Was gibt es Schöneres als mit der Sonne am Meer aufzuwachen und mit dem Sonnenuntergang den Tag abzuschließen?
Die Verbundenheit mit der Natur hat besondere Momente in Erinnerung bleiben lassen.
Auf meinem Instagramaccount: https://www.instagram.com/happy_eat_jb/ habe ich dazu viele Beiträge und Storys gepostet.

Einblick in andere Kulturen und Zusammenleben mit Einheimischen

Jaja, die Entspannung und Gelassenheit der Südländer – sie gibt es wirklich. Sicherlich lassen sich nicht alle über einen Kamm scheren, aber die Grundmentalität war genau diese: Zeit und Langsamkeit an Kassen, gemütliches Überqueren der Straße (also wirklich im Schneckentempo), keine Eile, wenn Kundschaft in der Werkstatt oder beim Arzt hat warten müssen. Ach ja und wenn es heißt, deine Bestellung würde am Donnerstag um 09:00 da sein, frage lieber vorher noch mal nach bevor du dich auf den Weg machst. Irgendwann hat es diese Tiefenentspannung geschafft, auch auf uns überzugehen. Zeit – gab es nicht mehr. Meditation – unnötig, wenn sogar das Anstehen an der Kasse dich in einen meditativen Zustand versetzt. Hektik – wozu, wenn man doch alle Zeit der Welt hat. Der Mensch ist dazu geneigt, sich seiner umgebenden Kohorte anzupassen, wie ein Chamäleon. In unserem Fall entsprach diese Art zu leben eh unserem Naturell und ging, ohne es zu bemerken, nahtlos auf uns über. Da wir auf Lanzarote 3 Monate verbracht haben und die Insel überschaubar ist, hatten wir dort irgendwann richtig sowas wie eine Dorfgemeinschaft. Man traf die Leute wieder, die man kannte und bekam Unterstützung von allen Seiten. Eine einprägsame Zeit, die mir dazu verhalf, meine bis dato sozialen Ängste gänzlich abzubauen.

Persönlichkeitsentwicklung

Die Herausforderungen, gerade zum Anfang unserer Reise, blieben nicht aus. Wir hatten ja schon vor unserem verzögerten Start in Deutschland Probleme mit einem Motorschaden und die technischen Probleme hielten leider an. Wenn es nicht gerade ein geplatzter Reifen war, der uns Schweißarbeit kostete so war es ein nervenaufreibender Tierarztbesuch mit unserem Kater Hans. Die Annahme dieser Situationen und das Potenzial daran zu wachsen, kam erst mit der Zeit. Es war nicht immer leicht die eigene Komfortzone ein weiteres Mal zu verlassen und ins Unbekannte aufzubrechen. Manchmal waren da sogar Ängste, was denn als nächstes passieren könnte. Mit den Erfahrungen, Herausforderungen erfolgreich zu meistern und über uns selbst hinauswachsen zu können, kam die Gelassenheit und das Wissen, egal was da kommt, es bewältigen zu können. Ich bin viel selbstbewusster im Kontakt mit fremden Menschen geworden und auch das Vertrauen in mich selbst ist enorm gewachsen. Wenn man bedenkt, dass ich bis vor zwei Jahren noch mit einer Panikattacke im Auto hab rechnen müssen und ich jetzt einen 3,5-Tonner durch halb Europa gekarrt habe, bin ich schon mächtig stolz auf meine Persönlichkeitsentwicklung.

Wetterabhängigkeit

Das Leben in und mit der Natur hat natürlich auch seine Kehrseiten. Befindet man sich nicht gerade auf einer der kanarischen Inseln, auf denen die Temperaturen ganzjährig mild sind, entscheiden letzten Endes Sonne, Wind und Wolken darüber, wie sich der Alltag vor dem Van gestaltet. Hitzerekorde auf dem spanischen Festland haben uns, genauso wie der Wintereinbruch in Griechenland, dazu gebracht, das Weite zu suchen. Extreme Wetterbedingungen sind in einem Van schlechter zu regulieren, wie in einem klimatisierten oder beheizten Raum. Zumindest in unserem Brummel. Denn wir haben weder eine Klimaanlage noch komplett abgedichtete Türen. Eine Nacht am Meer mit stürmischen Windböen kann sehr schaukelig und angsteinflößend werden. Am meisten zu schaffen hat mir allerdings anhaltender Regen auf dem Weg durch den Balkan gemacht, als wir das erste Mal die 8 Quadratmeter zu spüren bekommen haben. Ich sag’s wie es ist: Ab einem gewissen Grad von „eingesperrt sein“ und „Leben auf engem Raum“ bekomme ich Panik. Sie lässt sich zwar gut in den Griff bekommen, wenn ich den Bus verlasse, ist aber trotzdem sehr unangenehm. Für uns bedeutet das, dass letzten Endes nur die Kanaren für uns eine langfristige Lösung auf 4 Rädern wären.

Nicht immer überall erwünscht sein

Wir sind Reisende mit einem fahrbaren Zuhause. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich jedes Land und jede Person auf einen Besuch von uns freut. Nicht jeder Staat toleriert das freie Stehen in wilder Natur, was ja auch zum gewissen Grad nachvollziehbar ist. Für uns war es immer eine Selbstverständlichkeit unseren Müll mitzunehmen, kein offensichtliches Campingverhalten zu zeigen, wie zum Beispiel Stühle und Tische aufzubauen, oder an Ort und Stelle Grauwasser abzulassen. Dem Geruch zu folge, der einem abends manchmal entgegenschlug, haben das nicht alle so gewissenhaft ernst genommen. Es hat eigentlich immer eine alternative Möglichkeit gegeben, wenn uns jemand gebeten hat, den Platz zu verlassen. Einen gewissen Beigeschmack hat es allerdings schon, wenn die französische Polizei uns ermahnt, dass Camping in den Alpen nicht erlaubt sei, sie es aber tolerieren, wenn wir uns angemessen verhalten würden. Irgendwo Urlaub zu machen oder dort seinen Alltag verbringen zu wollen, bringt eben doch zwei unterschiedliche Sichtweisen mit sich.

Gefühl von Heimatlosigkeit

Was bedeutet Heimat für dich? Wann bin ich zu Hause? Was charakterisiert zu Hause sein? Was bedeutet in dem Kontext Heimweh?
Die Antworten auf diese Fragen haben sich über das eine Jahr Vanlife stetig verändert. Anfangs war da die Euphorie und Vorfreude auf das Ungewisse. Freiheit, Unabhängigkeit und Autonomie standen im Vordergrund. Noch war es eher Urlaub, was wir da gerade erlebten. Mit der Zeit wurde uns der Bus vertrauter und es etablierten sich Routinen, die ein Gefühl von Beständigkeit und zu Hause sein auslösten. Als Josy, unsere zweite Katze, weglief spürte ich einen großen Verlust von Heimat und Familie. Aber auch das änderte sich, als wir auf Lanzarote ein immer größer werdendes soziales Netz aufbauen konnten. Zu Hause war da, wo unsere Freunde und Bekannten waren. Aber was war mit unsrem Aufenthaltsort in Deutschland? Auch dort haben wir einmal Heimat gehabt. Das wurde uns so bewusst als das soziale Netz stand und viel mit anderen Reisenden, die nicht für immer am gleichen Ort verweilten. Also zogen wir weiter. Auf Fuerteventura. Die wenigen Gleichsprachigen, die wir antrafen, hatten kaum Interesse an näherem Kontakt und für einen intensiveren Beziehungsaufbau zu Einheimischen waren unsere Spanischkenntnisse noch zu rar. Das aber würde Jahre brauchen, bis man wirklich Floskeln, Dialektik und ein tiefgreifendes Verständnis für die Kultur und Mentalität, entwickelt hat. So groß meine Motivation für das Erlernen einer neuen Sprache auch war, so ernüchternd waren auch die wenigen Begegnungen mit Kanarios. Also musste eine neue Definition für Heimat her: Mein Mann, mein Kater, mein Bus? Oder einfach ich mit mir? Die Entscheidung, die Kanaren zu verlassen und uns über Deutschland auf den Weg Richtung Balkan zu machen, war sicher auch der zunehmenden sozialen Einsamkeit auf Fuerteventura geschuldet. Was nutzt einem die Schönheit der Natur, wenn die Verbundenheit zu anderen Menschen fehlt. Wir sind froh um den beständigen Freundes- und Familienkreis in Deutschland, der uns mit warmherzigen Umarmungen empfangen hat. So ist Heimat für uns momentan der Ort, an dem wir Verbundenheit spüren.

Krankheit im Bus

Der schlimmste Alptraum zum Schluss: Nach durchgestandener Hitzewelle endlich in den kühler temperierten französischen Alpen stehen und Rücklings von Corona über Bord geworfen werden. Völlig desillusioniert sein Dasein fristen und auf ein Absinken des Fiebers hoffen. Das alles auf einem Platz, an dem natürlich auch andere Menschen ein und ausgehen und keine Rücksicht auf zwei Halbleichen im Bett liegend nehmen. Im Bus haben wir nicht endlos fließend Wasser und auch unsere Toilette ist irgendwann zum Überlaufen voll. Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist bei den beliebten Naturplätzen auch nicht fußläufig erreichbar. Und in einem fremden Land hat man mal nicht eben den Hausarzt seines Vertrauens konsultiert. Alles in allem, haben wir auch diese Herausforderung gemeistert, wissen es jetzt aber umso mehr zu schätzen, was man in einer permanenten Unterkunft immer als so selbstverständlich verfügbar annimmt 🙂

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